Nothnagel

Ein Wirtschaftsanwalt kommt ins Straucheln

Wie alles ins Laufen kam:

Im vollbesetzten Großraumabteil des ICE machte sich allmählich Feierabendstimmung breit. Es wurden schon einige Bierchen serviert.

„Ja, Torben, ich bin unterwegs!“ Als ob der Kerl hinter mir alleine wäre, dachte Nothnagel, der einfach seinen Gedanken nachhängen wollte. Torben wird ja nicht taub sein. Unwillkürlich zog er das Genick ein.

„Nein, nein, der Empfang ist gut, ja, wir sind kurz vor Kassel.“ … „Den Kunden, nein, den habe ich noch nicht erreicht. Vielleicht klappt das heute nicht mehr, es ist schließlich Freitagnachmittag.“ … „Bitte? Nein, der Empfang ist gerade schlecht. Hallo? Hallo?“

Von hinten tönte „La Cucaracha“.

„Nein, nein, so hab ich das nie gesagt. Aber is‘ ja eigentlich nicht mein Job, oder?“ … „Ja doch, ja“ … „Du, die Verbindung ist gerade wieder schlechter. Es ist ja auch alles besprochen.“ … „Also gut, tschühüss, schönes Wochenende.“

Nothnagel, auf dem Rückweg von Göttingen, atmete auf.

Die Entspannung der Nackenmuskulatur währte nicht lange. Erneut erklang „La Cucaracha“.

„Ja, Schatzi, hi!“ … „Ich sitze gerade im Zug, ich komme 19:37 Uhr an.“ … „Du, heute Mittag hat mich Sebastian angerufen, stell dir vor“, der Hintermann senkte seine Stimme ein ganz klein wenig, „er will sich echt von Saskia trennen!“ … „Nein, das hat er mir nicht verraten.“ … „Wie?“ … „Du, die Verbindung ist gerade ganz schlecht, was hast du gesagt?“ … „Du, kannst du mir vom Aldi noch die elektrische Heckenschere mitbringen, wenn sie die noch im Angebot haben? Das wär‘ echt super.“ … „Ja tschüssi, bis später, Bussi.“ … „Ich dich auch!“

Die Gesichter im Abteil entspannten sich. Nothnagel räkelte sich ein wenig im Sitz zurecht und wollte sich angenehmen Gedanken überlassen. Da erklang „Für Elise“. Der Herr weiter rechts schaute sich um und sprach: „Ja, bitte, hier Doktor von Hohenhagen.“ … „Ah, schönen guten Tag, Walter, was gibt’s Neues?“ … „Nein, ich habe das doch auch den anderen Vorstandskollegen schon gesagt, das geht nicht. Wir müssen doch compliant sein. No way! Du weißt doch, die New York Stock Exchange ist extrem pingelig.“

Dr. von Hohenhagen blickte von Neuem um sich. „Ja, da müssen sich die Leutchen halt auch mal committen.“

Eine Dame weiter vorne drehte sich um und rollte die Augen. Ihr Blick traf Nothnagel, sie rollten synchron.

„Eine transaction von 900 Millionen, das sind doch schließlich keine  ̶  peanuts hätte ich beinahe gesagt.“

Sein Lachen ließ Nothnagel frösteln. Ganz hinten hörte man jetzt eine Zeitung rascheln.

Dr. von Hohenhagen beendete das Gespräch und vertiefte sich wieder in seine Zeitung. Er erstellte nicht wie andere während der Fahrt Tabellen auf seinem Laptop. Die rosafarbene Wirtschaftszeitung signalisierte seine Internationalität und war gleichzeitig der hohe Hag, den er um sich herum errichtete, um Distanz zu seinen Mitreisenden zu schaffen.

Thomas Nothnagel überließ sich seinem Dösen. Diese Woche war geschafft, und er war geschafft, auch wenn der Prozess in Göttingen heute nicht schlecht gelaufen war. Am Montag würde es weitergehen. Und so weiter und so weiter. Er hatte diesen unaufhörlichen Druck so satt. Zum Trost bestellte er sich einen Kaffee und ein Stück Butterkuchen. Er wollte sich eine Zukunft erträumen, eine andere Zukunft, am liebsten alles hinschmeißen und etwas Neues unternehmen. Hellblaue Bilder stiegen wieder einmal vor ihm auf.

Banjomusik riss ihn aus seinem Träumen und holte ihn aus lichten Sphären in die heruntergekühlte Luft des Großraumabteils zurück. „We’re gonna have a Bluegrass Christmas“, sang jemand. Oh wie peinlich, ich sollte diese alberne Klingelmusik einmal ändern, dachte er und nahm das Gespräch schnell an. Es war sein Freund und Berufskollege Markus Pommer.

„Hör mal, warst du nicht früher bei der Feuerwehr?“

„Doch, ich hab’s aber nur bis zum Oberfeuerwehrmann gebracht.“

„Dann hab ich einen Job für dich, bei dem du dich weiter bewähren und für höhere Feuerwehraufgaben qualifizieren kannst. Du kennst doch die Pralhals AG, den Verlag an der Staufenmauer.“

„Natürlich, ich hab‘ die schon ein paarmal vertreten.“

„Also, der Vorstand Berenpohl hat einen Schwächeanfall erlitten und fällt auf unbestimmte Zeit aus. Es gibt keinen weiteren Vorstand, der ihn vertreten könnte, und noch nicht einmal einen Prokuristen. Es brennt. Willst du das übernehmen?“

Die Frage traf Nothnagel wie eine Kneipp’sche Anwendung: Ihm wurde heiß und kalt. Alles ganz easy, versicherte Pommer, die Aktienmehrheit sei kürzlich verkauft worden, die Sache wäre im Wesentlichen in trockenen Tüchern. Der bisherige und der neue Hauptaktionär hätten sich schon geeinigt, ein paar Details wären halt noch offen, und man benötigte jetzt jemanden, der für eine Übergangszeit das operative Geschäft führte.

Die hellblauen Bilder kamen zurück. Er atmete tief ein. War sie das? Die Chance? Die hellblauen Bilder wurden intensiver. Er ließ sie einen Moment auf sich wirken und signalisierte Pommer Interesse.

Konflikt mit dem Investor Chattopadhyhay:

„Herr Chattopadhyhay läßt jetzt bitten“, sagte die Mitarbeiterin mit unbewegter Miene und ging Nothnagel in einen saalartigen Konferenzraum voraus. Hier saß der große Meister Rabindranath Chattopadhyhay, geschätzte hundertfünfzig Kilo schwer, wuchtig auf einem thronartigen Gebilde mit erhöhter Rückenlehne und gepolsterten Armlehnen. Er war westlich gekleidet und trug einen leicht glänzenden hellgrauen Anzug. Nothnagel kannte sich in Modefragen nicht aus, war sich aber sicher, das musste Seide sein. An den Händen hatte er mehrere dicke goldene Ringe mit auffälligen, verschiedenfarbigen Steinen. Unter dem Jackett trug er ein weißes Hemd mit weit offenem Kragen, der den Blick auf eine sonderbare Kette freigab. Nothnagel schaute genauer hin und erkannte die Kettenglieder als Zähne. Er zweifelte keine Sekunde, dass es sich um echte Raubtierzähne handelte. Außer Chattopadhyhay waren noch sieben weitere Personen im Raum.

„Ah, da sind Sie ja! Guten Tag Herr Nothnagel, schön, Sie zu sehen.“

Er reichte Nothnagel im Sitzen seine Pranke. Angesichts der aufgedunsenen Erscheinung war dieser von dem energischen Händedruck überrascht. Chattopadhyhay musterte Nothnagel eine Weile mit rotgeränderten Augen, an deren Unterlidern sich Flüssigkeit sammelte. Darunter waren Tränensäcke, groß wie Stecknadelkissen. Etwas verloren stand Nothnagel neben Chattopadhyhays Thron und versuchte, dessen Blicken standzuhalten. Ihm wurde unbehaglich. Gerade wollte er zu einer beliebigen Bemerkung ansetzen, um diese Vorführung zu beenden, als Chattopadhyhay das Schweigen brach. Die Anwesenden stellte er nicht vor. Vielmehr befragte er Nothnagel freundlich und in hervorragendem Deutsch nach seiner Familie. Nachdem erschöpfend Auskunft gegeben war, machte Chattopadhyhay eine kleine Handbewegung, worauf sich einer der anwesenden indisch aussehenden Männer erhob und durch eine Doppeltür verschwand. Chattopadhyhay sprach über Indien, das indische Familienleben und wie befremdlich er den Zustand der Familien in Europa und insbesondere in Deutschland fände. Er tat dies äußerst bestimmt, und es war klar, dass er nicht gewohnt war, Fragen verbindlicher Konversation zu stellen, noch in irgendeiner Weise Wert darauf legte, die Ansichten anderer zu erfahren. Nothnagel, der wusste, von diesem Gespräch würde vieles, wenn nicht gar alles abhängen, versuchte, höflich zu lächeln.

Die Miene Chattopadhyhays wurde von einem Moment auf den anderen undurchdringlich. Sein Ausdruck war nicht zu deuten, weder böse, angriffslustig noch feindselig, aber vor seinen Augen hing ein Schleier. Die anderen Personen in der Runde blickten schweigend mit leicht gesenkten Köpfen vor sich, als erwarteten sie unmittelbar ein Strafgericht.

Auch Nothnagel war wieder beklommen zumute, und er dachte, Chattopadhyhay würde jetzt auf das Geschäftliche zu sprechen kommen, als seine Augen wieder lebendig wurden:

„Haben Sie schon gegessen, Herr Nothnagel?“

„Offen gestanden, nein. Ich habe nur noch schnell einen Kaffee getrunken, bevor ich mich auf den Weg zu Ihnen gemacht habe.“

Nothnagel versuchte, mit einem Lächeln die Atmosphäre etwas aufzulockern. Chattopadhyhays Gesichtsausdruck blieb undurchschaubar. Er winkte einen weiteren indisch aussehenden Mann zu sich heran, der sich ihm ehrfurchtsvoll näherte und seinen Kopf senkte, um die Anordnungen seines Chefs entgegenzunehmen. Dann verschwand auch er lautlos durch die Doppeltür. Über Nothnagels Rücken lief ein Schauer.

Beim indischen Essen, das bald darauf gereicht wurde, zeigte sich Chattopadhyhay von seiner charmanten Seite. Dabei erfuhr Nothnagel, wer die anderen Anwesenden waren. An Chattopadhyhays Seite saß Baumann, Leiter der Finanzen, ein drahtig wirkender Mann, von dem Coosemans schon erzählt hatte, der durch leicht arrogantes Gebaren zu überspielen versuchte, dass ihm sein Patron von Zeit zu Zeit über den Mund fuhr und alles besser wusste.

Dann war noch der Hausnotar dabei. Er war, so stach es ins Auge, für den Besuch bei seinem wichtigsten Mandanten sonntäglich herausgeputzt und erinnerte an Bilder, die man in den Schaufenstern von Hochzeitsfotografen findet, auf denen ein Bräutigam zu sehen ist, den man zum ersten Anzug mit Krawatte seines Lebens überredet hat und in dieser Verkleidung einen jämmerlichen Eindruck macht. Für seinen wichtigsten Mandanten, so stellte Nothnagel es sich vor, ließ dieser Provinznotar alles in seinem Büro stehen und liegen und verbrachte sogar Stunden in Besprechungen, die mit seiner notariellen Tätigkeit überhaupt nichts zu tun hatten.

Chattopadhyhay, der trotz seiner Monologe durchaus die Signale der Teilnehmer in der Runde wahrnahm, bemerkte das schlecht unterdrückte Grinsen Nothnagels: „Sind Sie anderer Meinung zu dem, was ich eben gesagt habe?“

„Nein, nein, durchaus nicht, ich musste nur gerade an etwas Lustiges denken.“

„Langweile ich Sie, wollen Sie uns die lustige Geschichte erzählen?“, entgegnete Chattopadhyhay mit lauerndem Blick.

Du gerissener Hund, dachte Nothnagel. Die Monologe hältst du nicht, weil du ein von dir überzeugter Schwätzer bist, sondern weil du gerne mit Leuten spielst und sie quälst. So machst du deine Gegner mürbe. Nothnagel wurde im Magen leicht flau, was nicht an dem scharfen indischen Curry lag. Ihm wurde auf einmal klar, Chattopadhyhay war mit wirklich allen Wassern gewaschen. Auch er, Nothnagel, würde, wenn er nicht höllisch aufpasste, zu einer seiner Marionetten werden. Auch diesen Gedanken schien Chattopadhyhay durchschaut zu haben. Er wurde immer umgänglicher, ja sogar charmant.

Nachdem das Essen abgetragen worden war, verschleierte sich sein Blick wieder, und urplötzlich fragte er Nothnagel, ob er denn beim Verlag schon einen Überblick hätte. Die Antwort schien ihn nicht zufriedenzustellen.

„Es ist ihre Pflicht, dem Betriebsrat klarzumachen, dass die Kosten für die Abfindungen nicht über 1,5 Millionen Euro liegen dürfen. Der Kreditvertrag über fünf Millionen Euro ist vorbereitet und liegt hier. Wenn Sie etwas von Ihrem Geschäft verstehen, dann schaffen Sie es, den Betriebsrat nach unten zu drücken.“

Das war die erste klare Aussage über das von ihm geplante Investitionsvolumen und gleichzeitig eine eindeutige Vorgabe, allerdings nicht von der Art, wie man sie sich als Vorstand gerne auftragen lässt.

„Aber der Interessenausgleich über 3,5 Millionen Euro ist doch schon rechtsverbindlich unterschrieben, da kann man den Sozialplan doch nicht auf 1,5 Millionen abschmelzen“, wandte Nothnagel etwas unbeholfen ein.

„Ich bitte Sie, Sie sind ein erfahrener Wirtschaftsanwalt, jetzt Vorstand, und ein alter Hase. Ich dachte eigentlich, Sie wären mehr als das, nämlich ein alter Fuchs, der auch mit einem Betriebsrat verhandeln kann. Hier ist der Kreditvertrag, Sie können ihn heute schon unterzeichnen. Ich werde gegenüber der Sparkasse zur Sicherheit persönlich bürgen. Sonst würde kein Kreditinstitut der Welt der Pralhals AG ein Darlehen gewähren. Natürlich brauche auch ich Sicherheiten. Zunächst brauche ich die Garantie, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Wenn Sie mir den von Ihnen und dem Betriebsrat verbindlich unterschriebenen Sozialplan über 1,5 Millionen Euro vorlegen, unterzeichne ich die Bürgschaft und die Sparkasse wird eine erste Tranche von zwei Millionen sofort an den Verlag überweisen. Damit haben Sie eine Weile Luft. Der Notar, Prof. Dr. Brettschneider, über den Sie sich insgeheim lustig gemacht haben, ist eigens aus Grävenwiesbach hierhergereist, wir können alles fertigmachen.“

Jetzt saß Nothnagel in der Falle. Chattopadhyhay war nicht nur hochintelligent, sondern auch mit einer unglaublichen Beobachtungs- und Kombinationsgabe ausgestattet. Eiskalt hatte er zugeschlagen, dabei Nothnagel menschlich blamiert und ohne jede Rücksicht abgekanzelt. In seinem Innern zog sich etwas zusammen, eine Mischung aus Wut, Hilflosigkeit, Beklommenheit und Scham brodelte in ihm. Chattopadhyhay schaute ihn ungerührt an, sein Blick war wieder verhangen, das Lächeln gefroren.

Schweigen herrschte im Raum. Nothnagel suchte sich zu sammeln und mehrmals möglichst unbemerkt tief durchzuatmen. Völlig durcheinander versuchte er, seine verkrampfte Kiefermuskulatur zu lockern, und schaute sich hilfesuchend um. Er rechnete damit, wenn er jetzt die Unterschrift ablehnte, würde dies eine Presseerklärung zur Folge haben. Die helfende Hand des Wohltäters sei vom angeschlagenen Verlag nicht ergriffen worden. Der dumme, unerfahrene Vorstand hätte die großzügige Unterstützung des guten Onkels abgelehnt. Die Branche würde ihn für völlig unfähig erklären und die Gläubiger noch stärker drängen, ohne dass Geld von anderer Seite in Sicht war. Die Branchenpresse hatte Pralhals beständig im Auge. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht ein Branchendienst irgendetwas über den Verlag oder die um ihn herum handelnden Personen herausfand beziehungsweise sich aus den Fingern sog. Die Wirtschaftsmedien und die Lokalpresse übernahmen dies dann gerne.

Wie aber sollte Nothnagel den Kreditvertrag unterschreiben können? Die Gedanken purzelten in seinem Kopf durcheinander. Er mühte sich, ruhig zu werden, sie zu ordnen, alles klar zu überblicken. Er wurde panisch bei der Vorstellung, jetzt an Ort und Stelle durch eine Entscheidung einen folgenreichen Fehler zu begehen, weil ihm Gelassenheit und Übersicht fehlten. Sowohl die Unterschrift als auch deren Verweigerung konnte für den Verlag das Aus und für ihn die größte Niederlage seines Berufslebens bedeuten. Er atmete langsam tief ein und aus. Sollten die um ihn herum Sitzenden sich an seiner Ratlosigkeit erfreuen oder denken, was sie wollten.

Nothnagel bat sich Zeit aus, den umfänglichen Darlehensvertrag in Ruhe zu lesen.

„Natürlich, nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen, wenn Sie sich mit Kreditverträgen nicht so gut auskennen“, sagte Chattopadhyhay nur. Irgendeiner kicherte. Stille herrschte, als Nothnagel noch einmal tief durchatmete und versuchte, den Vertragstext aufmerksam und ohne sich ablenken zu lassen durchzulesen.

Nein, er unterschrieb nicht. Er konnte auf keinen Fall unterschreiben. Mit seiner Unterschrift würde der Kreditvertrag für die Pralhals AG sofort verbindlich werden und im gleichen Augenblick den bisherigen Kredit mit einer Überziehungsmöglichkeit über eine Million Euro außer Kraft setzen. Die Sparkasse dagegen war zur Auszahlung des neuen Kredits erst verpflichtet, wenn eine Bürgschaftserklärung vorlag. Der Verlag stünde blank da, hätte die bisherige Kontoüberziehungsmöglichkeit von einer Million auf der Stelle verloren.

Nothnagel hielt es für ausgeschlossen, dass es ihm gelingen könnte, den Betriebsrat zu einem Verzicht von zwei Millionen Euro an Abfindungen zu bewegen. Als er mit fester Stimme, die aufzubringen ihn einige Mühe kostete, verkündete, er könnte und würde nicht unterschreiben, regte sich Chattopadhyhay erst gespielt auf, wurde dann eiskalt und entließ Nothnagel wie einen dummen Schuljungen mit einer lässig winkenden Geste. Von den Lakaien des Hofstaats am großen Tisch schauten manche betreten, andere grinsten.

Da platzte Nothnagel die Hutschnur. Er hob seinen Aktenkoffer haarscharf an den Köpfen des Notars und eines indischen Mitarbeiters vorbei und knallte ihn mit Wucht auf den Besprechungstisch aus edlem Holz. Alle schreckten irritiert auf, nur Chattopadhyhay blieb gleichmütig. Nothnagel trat einige Schritte auf ihn zu, in diesem Moment war ihm alles einerlei.

„Herr Chattopadhyhay, für wie beschränkt halten Sie mich eigentlich? Mit der Unterschrift unter diesen Kreditvertrag hätte ich sogar die jetzt bestehende Kreditlinie verloren, ohne von Ihnen irgendetwas zu bekommen. Sie selbst verpflichten sich zu gar nichts, sondern halten nur alle Beteiligten hin. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass sich irgendein Betriebsrat in diesem Land auf einen Vorschlag wie den Ihren einlassen würde. Bei einer derartigen Massenentlassung hat übrigens auch die Agentur für Arbeit noch ein Wörtchen mitzureden. Und diejenigen, die Sie weiterbeschäftigen, wollen Sie auch noch deutlich schlechter als bisher bezahlen. So geht das nicht.“

Er hatte sich mehr und mehr in Rage geredet und wurde lauter.

„Entscheiden Sie sich, ob Sie in diesen Verlag investieren wollen. Wenn dies der Fall ist, dann werden wohl eher sechs als fünf Millionen Euro notwendig sein. Darauf können Sie sich einrichten. Wenn Ihnen das zu teuer ist, dann lassen Sie‘s bleiben, aber sagen Sie Bescheid und spielen Sie nicht länger mit der Belegschaft und mit mir!“

Er schnappte sich wieder seinen Aktenkoffer vom Edelholztisch, hinterließ auf diesem mit einem der Messingknöpfe des Koffers einen üblen Kratzer, rempelte in seiner Empörung unwillentlich den Notar an der Schulter und verließ nun selbst ohne einen Gruß den Raum. Die Doppelflügeltür bebte noch einige Sekunden nach.

Nothnagel konnte nicht ahnen, welche Folgen dieser Streit noch für sein Leben haben würde.